Prüfstein B1 (Deutschniveau) – der Kampf um eine Perspektive

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Von B1 noch nie gehört? Oder selber schon mal einen solchen Test durchführen müssen? Am Ende sollten wir alle wissen, wo der „Lebensperspektive“-Hammer hängt…

Eine Sprache entsteht durch Übereinkünfte in einem Kollektiv, das gemeinsam Codes vereinbart. Das Lernen der Sprache zieht heutzutage zudem häufig die Bewertung durch eine Buchstaben-Zahlen-Kombination nach sich. So z.B. „B1“ –  sie soll nach Europäischem Referenzrahmen der Beurteilung von Fortschritten in den Lernerfolgen bezüglich einer Fremdsprache dienen. Mit B1 soll man „über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben“ können.

Der „Schlüssel zum Glück“?

Für junge Menschen, die ohne gesicherten Aufenthalt in Bremen leben, öffnet das nachgewiesene Sprachniveau B1 Türen zur Berufsausbildung und der vorangehenden Einstiegsqualifizierung und somit längerfristig einen besseren Weg. Nämlich einen Weg Richtung eines gesicherten Aufenthalts. Durch die eingeforderte Buchstaben-Zahlen-Kombination in Zusammenhang mit einer prekären Lebens- und Lernsituation durch die Duldung (auch: Aussetzung der Abschiebung) entsteht aber auch Druck…

Von Empowerment, langwierigen Prozessen und gemeinsamen Erfolgen

4 von 6 weserholz Trainees des 2. Jahrgangs (Herbst 2018 – Sommer 2019) haben vor einigen Monaten extern ihre Deutsch-Prüfung auf dem Sprachniveau B1 abgelegt und leider alle „nur“ mündlich bestanden. Das ist keine Seltenheit und die Gründe für das Nicht-Bestehen der schriftlichen Prüfung sind natürlich individuell bedingt, aber auch wiederkehrend und (mit einem System erklärbar, dass Menschen davon abhält lernen zu können) analysierbar.

Das Lernen fällt unseren Trainees (und vielen anderen geflüchteten Menschen) selten leicht, wenn ihnen existentielle Themen Sorgen bereiten, wenn sie sich ihrer Perspektive in Deutschland nie sicher sein können (Duldung/Aufenthaltsgestattung), wenn das Ziel Ausbildung aufgrund der vorangegangenen, immer unterbrochenen und häufig schmalen Bildungsbiografie eine riesige und quasi unumgängliche Herausforderung darstellt.

Was also tun? fragten sich unsere Trainees im Sommer dieses Jahres

1) Keine Ausbildung?

2) Zurück in die Heimat?

3) Eine Verlängerung bei weserholz?

Zu 1) Keine Ausbildung bedeutet für Menschen mit Duldung längerfristig keine Perspektive in Deutschland zu haben. Gehen sie „einfach“ arbeiten, verdienen sie oft schlecht und laufen Gefahr, dass ihre Duldung immer weiter verkürzt wird und am Ende eine Abschiebung steht.         

Zu 2) Zurück in die Heimat zu gehen ist für viele (noch) keine Option. Die Entscheidung ist zudem oft keine individuelle, da große Familien und Netzwerke hinter ihrem Weg/ihrer Fluchtentscheidung stehen und alle Hoffnung in die junge Person legen, die nach Europa geflüchtet ist.

Zu 3) Ein weiteres Jahr an weserholz teilzunehmen ist in der Regel nicht sinnvoll, da die grundlegendsten Fähigkeiten und Kenntnisse für eine erfolgreiche Ausbildung bei weserholz erlernt und in der Einstiegsqualifizierung (EQ; Dauer: max. 10 Monate; 1. Lehrjahr als Übungsjahr, danach Ausbildungsstart) weiter ausgebaut werden können. Auch hat bei weserholz eine wichtige individuelle Stabilisierung bzw. Empowerment stattgefunden. Es geht also „lediglich“ darum, das letzte bisschen bis zum eingeforderten Sprachstand von B1 zu erreichen.

Mögliche Szenarien

Szenario A) Deutsch in einem externen Sprachkurs weiter lernen, bis B1 bestanden ist, einen EQ-Pass bekommen und dann die EQ zu einem verspäteten Zeitpunkt beginnen – Problem: EQ-Platz muss dann noch vakant sein bzw. erst noch gefunden werden, Zeitverlust, längere Zeit kein Verdienst, Gefühl von Stagnation oder Unfähigkeit, die ersten Monate Berufsschule der EQ wurden verpasst, Einstieg in EQ also schwieriger.

Szenario B) Eine EQ in Berufsschule und einem Betrieb beginnen, der nicht auf B1 (bei EQ-Aufnahme) besteht und das EQ-Gehalt daher selber zahlt. Leider hat er auf diesem Weg kein Anrecht auf einen begleitenden kostenfreien Deutschkurs. Dennoch sollte für den zukünftigen Auszubildenden das Ziel sein, weiterhin intensiv Deutsch zu lernen. Der EQ-ler und der Betrieb (in Zusammenarbeit mit weserholz) sind gefragt, als hätten sie nicht schon genug Formalien und Arbeit um die Ohren. Häufig stehen auch bei dieser Variante Ausbildungsabbrüche, da nicht rechtzeitig die ausreichende Unterstützung (auch für andere Berufsschulfächer) gefunden wird.

Aktuelle Lage: In Zusammenarbeit Möglichkeiten auftun

„Zum Glück“ hat die Agentur für Arbeit (AfA) in Bremen die Ausgabe des EQ-Pass (damit zahlt die AfA das EQ-Gehalt und der EQ-ler hat ein Anrecht auf einen begleitenden Deutschkurs) etwas gelockert und genehmigt diesen nun häufig auch, wenn der schriftliche Teil noch nicht bestanden wurde.

Allerdings muss man hier leider von Einzelfallentscheidungen sprechen, denn bei 2 von unseren Trainees wurde die neue „Regel“ nicht angewandt. Der dritte „durfte“ in der AfA einen Test am Computer machen, den er bestand und daraufhin das Zertifikat bekam.

Dennoch haben wir es geschafft, dass alle 3 Trainees im September ihre EQ beginnen konnten, z.T. gefördert durch das Aus- und Fortbildungszentrum Bremen bzw. das Land Bremen. Bedeutend hierbei war allerdings auch, dass wir bereits feste Zusagen von Bremer Betrieben für EQ-Plätze in Bremen erhalten hatten und den ganzen Prozess begleiteten und moderierten.

Hier kann doch keine deutsche Sozialisierung vorausgesetzt werden!?

Um diese Möglichkeiten aufzutun und die damit einhergehenden und sich häufig ändernden Feinheiten und Formalia zu verstehen, braucht es Beharrlichkeit, Zeit für Recherche und Telefonate und bestenfalls ein Netzwerk von Experten.

WICHTIG: Daher verabschiedet weserholz seine Trainees nicht einfach Ende Juli eines jeden Jahres, sondern begleitet sie zuverlässig und mindestens bis zu dem Punkt, an dem der nächste Schritt ihrer beruflichen Perspektive unter Dach und Fach ist. In der Regel also der Vertragsabschluss.

B1 und B2 bleiben wichtig

Jedoch sollen diese Personen – auch unsere ehem. Trainees – noch zusätzliche Deutsch-Schreibkurse belegen und im Herbst erneut die schriftliche Prüfung schreiben.

Wir sind der Überzeugung, dass B1 eine wichtige Voraussetzung für die EQ und B2 für die Ausbildung ist. Aber es ist absolut notwendig, dass gewisse Institutionen und der Staat sich auch ansehen, warum manche Anforderungen von geflüchteten Menschen, die hier in prekären Verhältnissen leben, nicht oder nur selten erfüllt werden können…und Abhilfe leisten! Also mit Betroffenen sprechen, neue Wege einschlagen und nachhaltige und mutige Lösungen schaffen. Eine schnelle Entscheidungskraft und entschlossenes Handeln sollten dem nicht entgegenstehen, sondern Handlungsfähigkeit und Verantwortungsübernahme beweisen.

Der weserholz Weg ist kein Holzweg!

Mit Netzwerkarbeit, Vertrauen und Potentialförderung finden wir eine Lösung, auch wenn diese manchmal noch einige Monate entfernt liegt, wie bei einem unserer 6 letzten Trainees. Stay tuned!

Mehr zu kollektiver Selbstermächtigung durch angewandte Sprache und Gestaltungsvermögen findet ihr in unserem Konzept von >> Social Entrepreneurship

>> Die Trainees hier besser kennenlernen

Ein Beitrag von Tanja Engel – Co-Gründerin