Dieser Blogbeitrag ist Auftakt einer kleinen Serie von Artikeln, die sich mit Kartenprojektionen, Nachhaltigkeit und Perspektivwechsel beschäftigen.
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Ein neues Sprichwort?
In seinem Text „Der Hugo“ beschreibt der Autor Max Goldt den letztlich gescheiterten Versuch, in seinem Bekanntenkreis ein neues Sprichwort einzuführen (Erschienen in: „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“, Rowohlt 2005).
Seit ich diesen Text gelesen habe bin ich auf der Suche nach einer Gelegenheit, selbst ein Sprichwort einzuführen und ich glaube, dass diese Gelegenheit nun gekommen ist. Das Sprichwort, das ich vorschlage, lautet: „Das ist ja wie die Projektion der Weltkugel!“.
Es beschreibt die Unmöglichkeit eine Aufgabe zu erfüllen, ohne Kompromisse einzugehen, die sich nachteilig auf davon betroffene Personen auswirken. Zugegeben: es ist ein ziemlich nerdiges und holpriges Sprichwort, aber vielleicht findet es ja in Kartograph*innen-Kreisen eine Nische.
Die Problematik ist aber vorhanden und ihr fehlte bis jetzt eine griffige Umschreibung abseits der sprichwörtlichen Zwickmühle, die ein Entweder-Oder beschreibt, dessen Konsequenzen sich eher auf das eigene Schicksal als das von anderen beziehen. Doch nun zum eigentlichen Thema.
Norden groß – Süden klein?!
Den Planeten Erde auf eine Fläche zu projizieren, ist buchstäblich „wie die Projektion der Weltkugel“!
Die allgemein bekannte Mercator-Projektion hat, neben Vorteilen für Seeleute des 16. Jahrhunderts, für die sie eigentlich gedacht war, entscheidende Nachteile für Menschen des 21. Jahrhunderts: Extrem verzerrte Größenverhältnisse zum Beispiel. Die Gebiete um den Äquator erscheinen im Vergleich zu Gebieten nördlich und südlich davon unverhältnismäßig klein (siehe Abbildung).
Dass die Größenverhältnisse in der Darstellung die globalen Machtverhältnisse der Moderne widerspiegeln und reproduzieren, war von dem Kartographen Gerhard Mercator zwar nicht beabsichtigt und ist der Optimierung für Navigatoren geschuldet, hat aber Auswirkungen auf unsere eurozentrische Weltanschauung. Dargestellte Größe entspricht in unserer Wahrnehmung tatsächlicher physischer Macht, Größe und Wichtigkeit.

Mercator Projektion:
Die Kreise zeigen die Abweichung der Größenverhältnisse (Tissotsche Indikatrices). Bei einer flächentreuen Projektion wären alle Kreise gleich groß. Man beachte, dass die „südlichen“ Indicatrices fast alle im Meer, bzw. der Antarktis landen, das heißt die Verzerrung ist eher im Norden sichtbar (Europa/Russland/Nordamerika).
Den Norden nach oben auszurichten, ist ein weltweit angenommener Standard in der Kartografie. Das war nicht immer so – bis in das späte Mittelalter wurden Karten nach Osten, nach Jerusalem, ausgerichtet. Also in den Orient, sie wurden orientiert. Es bedürfte weiterer Recherche um herauszufinden, warum sich der Norden gegenüber dem Osten durchgesetzt hat. Aber eines zeigt dieses Beispiel: oben wird als wichtig angenommen. Das bedeutet: die Ausrichtung der Karte bedeutet eine Hierarchisierung der Himmelsrichtungen.
Zusammengefasst heißt das: Der Norden ist oben und groß, der Süden ist unten und klein. Was dies für die Wahrnehmung der Regionen und Kontinente im globalen Kontext bedeutet, muss hier nicht näher erläutert werden.
Es gibt sehr viele Projektionen der Erde, die die Größenverhältnisse besser abbilden. Wer sich für dieses Thema interessiert, dem sei hier die Website >> kartenprojektionen.de empfohlen.
Die Peirce-Quincunx-Projektion
Ich möchte jedoch eine Weltkarte vorstellen, die so interessant wie unbekannt ist: es handelt sich um die Quincunx-Projektion von Charles S. Peirce aus dem Jahr 1879. Sie umgeht die oben angesprochenen Probleme der Darstellung (Größenverhältnisse, Nord-Süd- Hierarchie) sehr elegant und besitzt gleichzeitig faszinierende Eigenschaften, die sie für einen gestalterischen Umgang mit ihr prädestinieren.

Peirce Quincunx Projektion:
Die Größenverhältnisse sind wesentlich ausgeglichener, die größten Abweichungen finden an den Stellen statt, wo die Ozeane abgebildet sind.
Erkennst du die einzelnen Kontinente?
Wo sind Norden / Süden / Osten / Westen?
Tipp: Der Südpol ist verteilt auf die vier Ecken der Karte.
Wir von weserholz haben uns entschlossen, die Peirce-Quincunx-Projektion zu unserem Design-Forschungsobjekt zu machen und wollen euch gerne einladen, uns auf dieser Forschungsreise ein Stück zu begleiten.
Mehr dazu im >> nächsten Blogbeitrag, in dem verraten wird, was das >> Designstudio weserholz mit der Peirce-Quincunx-Projektion auf gestalterischer Ebene vorhat.
Derweil im weserholz >> Bulletin No.2 stöbern und mehr über den Entstehungsprozess unseres letzten Produktes >> fonko erfahren.
Ein Beitrag von >> Anselm Stählin – Leitender Designer | weserholz